Das kleine Inselarchipel Südgeorgien im Südpolarmeer wird bei Antarktis-Reisen eher selten angelaufen: Es liegt weit ab von der Route zur Antarktischen Halbinsel, fast km von der Küste Südamerikas entfernt. Bei einer Antarktisreise muss im großen Bogen nach Osten gesteuert werden, um es zu erreichen.
Auf meiner zweiten Antarktis-Reise fuhren wir eine dreiwöchige Tour und landeten nach den Falklandinseln auf Südgeorgien, oder wie es korrekt heißt: Südgeorgien und die Sandwich-Inseln. Dort geschah nicht nur eines der spannendsten Kapitel der Entdeckungsgeschichte der Antarktis, Südgeorgien ist zudem das beeindruckendste und vielfältigste Natur- und Tierparadies, das ich je gesehen habe.
Transparenz: Für viele stellt sich die Frage, wie ich zwei Reisen in die Antarktis finanzieren konnte. Beim ersten Mal hab ich einen „Freundschaftspreis“ bei Hurtigruten gezahlt, den gab es damals für Familie und Freunde der Crew. Zur Reise mit Hapag Lloyd wurde ich wahnsinnigerweise als Bloggerin eingeladen. Für den Mann haben wir gezahlt, ebenfalls haben wir unsere Anreise selbst finanziert. Verabredet war hier allerdings nur die Berichterstattung im Hapag Lloyd-Blog, deshalb gehen alle auf blickgewinkelt erschienenen Berichte über die Antarktis auf meine eigene redaktionelle Kappe.
Inhalt des Artikels
Wo liegt Südgeorgien?
Ankunft in Südgeorgien
Possession Bay: Besuch im Tierparadies
Königspinguine
Seebären
See-Elefanten
Salisbury Plain: Zweitgrößte Königspinguinkolonie der Welt
Sprachlos in der Fortuna Bay
Die alte Walfangstation Stromness: Lost Place auf Südgeorgien
Wo liegt Südgeorgien?
Südgeorgien, bzw. South Georgia oder Georgia del Sur, ist britisches Überseegebiet und gehört zur Inselgruppe „Südgeorgien und die Südlichen Sandwichinseln“. Politisch ist der Anspruch zwischen Großbritannien und Argentinien ähnlich prekär wie bei den Falklandinseln. Weil Südgeorgien aber tatsächlich im südöstlichen Nichts liegt und lediglich für Sir Ernest Shackleton bei seiner historisch einmaligen Rettung sowie für frühere Walschlächter eine Rolle gespielt hat, steht es heute nicht mehr sonderlich im Fokus politischer Zwietracht.
Südgeorgien liegt fast 2000 Kilometer vom argentinischen Festland entfernt und ungefähr genauso weit von der antarktischen Halbinsel. Die Hauptinsel ist ein in die länge gezogener und etwas verkrümmter Kamm und misst 3765 km².
Hier befindet man sich auf dem 54. Breitengrad Süd und damit in der Subantarktis. Das Wetter ist stabil: Meistens regnet oder schneit es, selten wird es viel kälter als 0, selten wärmer als 8 Grad.
Das gebirgige Terrain mit seinen eis- und schneeüberzogenen, zwischen 2000 und 2900 Meter hohen Gipfeln, machte Shackleton enorm zu schaffen, der mit seiner Rettungs-Nussschale auf der falschen Seite gelandet war und nun die Berge überqueren musste, um seine Crew zu retten. Die extrem spannende Geschichte wurde in der Doku „Verschollen im Packeis“ festgehalten, man kann sie – leider in etwas verzerrtem Format – derzeit auf youtube anschauen. Wer lieber lesen mag: 635 Tage im Eis – Die Shackleton Expedition* ist ein unglaublich gut und spannend geschriebenes Buch darüber, ich habe es verschlungen.
Ankunft in Südgeorgien
Es gibt mal wieder eine Hörempfehlung zu diesem Post: Balad of O, Coldplay
Wir sind früh dran: Um einem Wettertief zu entkommen hatte der Kapitän der MS Hanseatic beschlossen, den Besuch der Falklandinseln (siehe Route der Reise) abzukürzen und vor dem Tief die Meerüberquerung ins 1700 Kilometer entfernte Südgeorgien anzutreten. Wie immer werden wir darüber im so genannten „Pre-Cap“ informiert, dem Vorbereitungsmeeting auf die kommende Anlandung.
Seit Monaten hatte ich mir vorgestellt, hinlänglich theatralisch an Deck zu stehen, um das ersehnte Südgeorgien schon von weitem zu erspähen. Tatsächlich aber ankert die MS Hanseatic bereits in der Nacht vor der Küste und ich bin wie jeden Tag von all den Eindrücken und der frischen Luft viel zu müde, um mich nachts freiwillig an Deck zu schleppen. Als es am Morgen draußen scheppert und donnert, weil die ersten Zodiacs ins Wasser gelassen werden, werde ich wach.
Wir sind in der Gruppe „grün“, die heute die erste Anlandung machen wird. Im Rotierverfahren wird so sichergestellt, dass nicht mehr als 100 Leute gleichzeitig an Land sind – eine Vorgabe des Antarktisvertrages und des IAATOs, der touristischen Vereinigung für Antarktistouren, die auch für Südgeorgien gilt. Nicht nur soll so die Natur geschützt werden, auch wird so verhindert, dass mehrere Schiffsladungen Touristen gleichzeitig die abgelegensten Zipfel der Welt in Augenschein nehmen und den Eindruck der Abgeschiedenheit trüben.
Müde stolpere ich ins Bad, um das Nötigste der Morgendusche hinter mich zu bringen, meine verschiedenen Schichten Klamotten überzustülpen und meine Sachen zu sortieren: Kameras, Objektive, sind die Akkus geladen, sind die Speicherkarten von gestern geleert. Filter. Stative. Handschuhe. Sonnenbrille. Taschentücher. Gopro. Wo ist der Ersatzakku der Gopro? Jeden verdammten Morgen mache ich mich verrückt. Once in a lifetime. Da hat man Angst, nicht vorbereitet zu sein.
Immer noch schläfrig sitze ich in voller Montur auf dem Bett in der Kabine, als die Durchsage kommt: Leider ist eine Anlandung in Salisbury Plain nicht möglich, die Wetterverhältnisse geben es einfach nicht her. Der Kapitän wird sich nun kurz mit dem 1. Offizier beraten.
Business as usual, so ist das in der Antarktis.
Die Possession Bay: Besuch im Tierparadies
Ich bin dennoch enttäuscht, denn hinter dem klanglosen Namen Salisbury Plain verbirgt sich eine der größten Königspinguin-Kolonien der Welt. Schnell wird umdisponiert und wir besuchen stattdessen die Possession Bay, in der es eine kleinere Kolonie von Königspinguinen geben soll. Wir haben Glück: Das Wetter klart auf und die Anlandungen klappen problemlos. Schon direkt am Strand erwarten uns so viele Tiere, dass ich völlig fassungslos bin und kaum weiß, wohin ich meine Kamera zuerst richten soll.
Königspinguine
Königspinguine sind die zweitgrößten Pinguine der Welt und meiner Ansicht nach die hübscheste Art. Königspinguine leben ausschließlich auf subantarktischen Inseln, nicht auf Antarctica, dem Antarktischen Festland. Einen Überblick über die verschiedenen Pinguinarten der Welt und deren Lebensraum gibt es hier.
Die Szenerie ist skurril – ich bin mir nicht sicher, ob hier Pinguine zwischen Menschen oder Menschen zwischen Pinguinen herumlaufen. Dazwischen Unmengen von Seebären und Seeelefanten – es ist absolut fantastisch und mein erstes Mal, dass ich Königspinguine zu Gesicht bekomme.
Seebären
Seebären sind die so genannten Pelzrobben, die hier einst wegen ihres dichten, weichen Fells zu Hunderttausenden geschlachtet wurden, was heute natürlich nicht mehr erlaubt ist, die Antarktis steht ja unter Schutz durch den Antarktisvertrag, den die meisten Länder unterschrieben haben und der schönerweise wieder verlängert worden ist.
Vorsichtig bahnen wir uns den Weg zwischen den tausenden Seebären, die recht angriffslustig reagieren, wenn man ihrem Territorium zu nahe kommt. Wo entlang die Grenzen verlaufen, wissen wohl nur sie – es ist kaum möglich, den Mindestabstand von 5 Metern zu halten. Immer noch ist es ein Rätsel, wie der auf ein Minimum an Genpool reduzierte Bestand sich so gut erholen konnte. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlangteSüdgeorgien nicht nur durch dasWalschlachten traurige Berühmtheit, auch die Seebären wurden hier zu Zigtausenden getötet und auf einen winzigen Bestand von etwa 100 Tieren reduziert.
See-Elefanten
Während ich versuche, den überall herumliegenden und kläglich schreienden Jungtieren auszuweichen, die mich mit ihren großen, süßen Augen angucken, tritt der Mann mehrfach versehentlich fast auf einen Seeelefanten. Die schlafen meist und sind so gut getarnt, dass man sie glatt für Steine halten könnte. Manche gähnen oder beschweren sich ein bisschen oder gucken uns schlichtweg nur mittelinteressiert an.
Wir verbringen etwa eineinhalb Stunden an Land, dann kehren wir auf die MS Hanseatic zurück.
Salisbury Plain: Zweitgrößte Königspinguinkolonie der Welt
Nach der Possession Bay fahren wir wieder zurück, um eine erneute Anlandung in Salisbury Plain zu probieren. Es klappt nicht, der „Schwell“ – Wellen, die sich am Strand auftürmen – ist einfach zu hoch, um mit dem Zodiacs anzulanden. Das Wasser ist sonst aber relativ ruhig, deshalb cruisen wir mit den Zodiacs den Strand entlang.
Tausende von Königspinguinen schwimmen im Wasser, die bunten, schönen Köpfe ragen heraus. Es ist irgendwie schräg, dass wir mit diesen großen, polarerprobten Schlauchbooten und unserer wetterfesten Kleidung nicht an Land gehen können, während sich diese kleinen Wesen mühelos vom Strand in den Schwell stürzen und im Wasser herumschwimmen.
Hinter dem Strand türmt sich ein Berg hoch hinauf, auf dem sich die etwa 200.000 Brutpaare starke Kolonie der Pinguine niedergelassen haben. Pinguine, so weit das Auge reicht. Ein Anblick, den ich wohl so nie vergessen werde.
Sprachlos in der Fortuna Bay
Am nächsten Tag landen wir in Fortuna Bay an. Hatte ich gedacht, dass der Tag zuvor einer der Höhepunkte dieser Reise gewesen war, hatte ich mich getäuscht. Das Wetter wechselhaft, immer wieder Schnee und Sonne, abermals Tausende von Seebären, Seeelefanten und Königspinguinen.
Die Bucht ist lang und zieht sich von der Anlandestelle entlang malerischer Bergzüge bis zu einem großen Gletscher.
Unser Ziel ist eine weitere große Kolonie von Königspinguinen etwa in der Mitte der Bucht, wir haben eineinhalb Stunden Zeit, ein Weg ist grob abgesteckt. Das ist weniger zum Schutz der Tiere denn zu unserem Schutz, denn es ist schwierig, überhaupt einen möglichen Weg zwischen den tausenden Tieren hindurch auszumachen, ohne böses Knurren auf sich zu ziehen.
Ich komme nur langsam voran, denn ich kann mich nicht sattsehen und sattfotografieren. So schön ist die Landschaft, so gletschergrünblau das Wasser, und natürlich vor allem: so spannend die Tiere.
Die älteren Seeelefanten mit den lustigen Riesennasen sind schon von dannen gezogen, übrig geblieben sind die Weibchen und die Jungbullen, die in der Regel herumliegen und vor sich hin schnarchen.
Manche müssen sich aber auch abreagieren. Es ist völlig skurril, nur wenige Meter vor diesen großen Tieren zu stehen und zu sehen, wie sie sich einen Kampf liefern, der aufgrund ihrer Körpermasse wie in Zeitlupe abzulaufen scheint. Immer wieder klatschen die massigen Körper aneinander. Das gegrunzte Brüllen gurgelt tief aus den Kehlen hervor.
Wir finden ein Rentiergeweih und werden an unser Pre-Cap erinnert, in dem uns erzählt wurde, dass es hier vor nicht allzu langer Zeit Rentiere gegeben hat, die hier ausgesetzt wurden. Leider befand das Südgeorgische Mandat, dass auf Südgeorgien kein Platz für nichteinheimische Arten sei und ließ alle Rentiere erschießen. In den Augen des Expeditionsleiters sehe ich Bedauern, als er uns die Geschichte erzählt.
Auch ausgerottet wurden hier übrigens erst vor kurzen die Ratten. Eingeschleppt durch verschiedene Schiffe und ohne natürliche Feinde hatten diese sich über die Jahrzehnte stark vermehrt und bedrohten einige endemische Vogelarten, weil sie die Eier aus den Nestern klauten. Die großangelegte Ausrottungsaktion scheint gewirkt zu haben, denn seit Monaten ist keine einzige Ratte mehr gesichtet worden.
Als wir endlich an der Königspinguin-Kolonie ankommen – wir haben die Zeit völlig vergessen und den Weg unterschätzt – bin ich hingerissen von der erneuten riesigen Menge an Pinguinen in verschiedenen Stadien.
Königspinguine haben einen recht besonderen Brutzyklus. Da es außerdem auf Südgeorgien keine starken Jahreszeitenschwankungen gibt, sehen wir Pinguine in verschiedenen Stadien der Entwicklung, manche befinden sich in der Mauser.
Die Jungtiere, die „Kaffeewärmer“, wie die Crew der MS Hanseatic sie liebevoll nennt, sind braune gefiederte Riesenbüschel, durch die großen Federn sehen sie sogar größer aus als die erwachsenen Tiere.
Tollpatschig und süß, irgendwie, und völlig anders als Jungtiere von Kaiserpinguinen mit ihrer bekannten schwarz-grau-weißen Federzeichnung.
Wenn die Jungtiere ihr braunes Federkleid verlieren, sehen sie teilweise zum lachen aus: Seht her mein Röckchen, schaut, ich habe einen Iro.
Wir stehen am Rande der Kolonie und die Pinguin-Expertin der MS Hanseatic erzählt uns, was wir wissen wollen.
„Guck mal, die vier da, das sieht ja ein Blinder, dass die gerade ein Gockelverhalten an den Tag legen. Die überlegen sich vielleicht gerade, wie sie die Weibchen herumkriegen können. Schau Dir an, wie sie sich in die Brust schmeißen.“ Ich muss schwer lachen. Tatsächlich.
Einige Pinguine sind neugierig, die meisten aber scheinen nur kurz Hallo zu sagen und sich dann cool abzuwenden. Sie haben vermutlich schon einigen Touristen hallo gesagt.
Die alte Walfangstation Stromness:Lost Place auf Südgeorgien
Am Nachmittag besuchen wir Stromness. Eigentlich wollten wir eine Wanderung zur alten Walfangstation unternehmen, in der Sir Shackleton die Rettung für sich und seine Crewmitglieder fand. Das Wetter spielt aber abermals nicht mit und so bleibt uns nur ein kurzer Ausflug.
Die Station ist leider abgesperrt, denn die Gebäude sind einsturzgefährdet. Schönerweise hat man sich dennoch entschlossen, diese Überreste als eine Art Mahnmal der Geschichte stehen zu lassen und nicht wie andernorts wegzuräumen. Von Ferne sind die großen Tanks zu erkennen, in denen der Waltran aufgefangen wurde. Ich stehe in einiger Entfernung und versuche mir vorzustellen, wie es hier früher ausgesehen haben mag: Walskelettte überall, die Bucht getränkt vom vielen Walblut. Das Schlachten hörte so lange nicht auf, bis es nicht mehr rentabel war, weil der Bestand zu klein geworden war. Dann kamen die Seebären dran.
Als auch diese verschwunden waren, wurde Stromness 1961 verlassen. Heute liegen zwischen den Überresten Seebären und Seeelefanten und genießen wohl die Ruhe, die nur ab und zu durch ein paar Touristen gestört wird. Es ist gleichzeitig gruselig und schön, dass ich an einem Punkt der Geschichte hier stehe, an dem hier Frieden herrscht. Vermeintlich jedenfalls.
Als wir ins Zodiac steigen, ist der Himmel wieder zugezogen, es ist feucht-neblig und schneit nasse Flocken. Was heute abenteuerlich war, wird gleich wieder wett gemacht durch meine Luxusdusche auf dem Luxusschiff, die mich spüren lassen wird, dass ich keine berühmte Entdeckerin bin, nur eine Touristin, die zwei Tage Luxusgast auf einem der schönsten Flecken Erde der Welt sein durfte.
Ein Flug nach Ushuaia, wo die meisten Expeditionsreisen starten und Rückflug emittiertüber 8 Tonnen CO2(! pro Person !). Hinzu kommt natürlich noch die Schiffsreise. Hier sind konkrete Aussagen sehr schwierig: Hurtigruten fährt mittlerweile auch mit LNG, also Flüssigerdgas, was umwelttechnisch besser ist als Normaldiesel oder gar Schweröl. Hapag Lloyd rüstet hier ebenfalls um, sogar die eigenen Containerschiffe. Grundsätzlich darf kein Schiff mit Schweröl in die Antarktis fahren. Der Ruß- und Feinstaub muss bei Schiffsreisen allerdings berücksichtigt werden, moderne Filteranlagen sind daher sehr wichtig. Schiffe, die in die Antarktis fahren, sind häufig Vorreiter und haben einen weitaus geringeren Impact auf die Umwelt als andere Kreuzfahrten (oder gar Containerschiffe). Dennoch ist der Umwelt-Einfluss so einer Reise wirklich riesig.Kompensierenkann man das klimaschädliche Treibhausgas zum BeispielbeiAtmosfairoder anderen lokalen, CO2-bindenden Projekten wie Moorfutures.
Inka Chall
Seit 15 Jahren ist Inka Redakteurin, Reisebloggerin und Autorin in Berlin und Brandenburg. Sie hat mehrere Reiseführer über die Region geschrieben und veröffentlicht ihre Tipps und Geschichten im Spiegel, Tagesspiegel und verschiedenen Magazinen. Außerdem Möchtegernentdeckerin, Liebhaberin der polaren Gebiete unserer Erde und abschweifend in der Welt. Hier Chefin vom Dienst.
Dieser Beitrag wurde am 22. Dezember 2019 aktualisiert.
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